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Nellas Woche – Sieben auf einen Streich

Aufgeschnappte Berlinmomente von Nella Rausch

Vor einiger Zeit pflegte ich jeden Sonntagmorgen eine kleine Geschichte aus meinem Alltag auf Instagram und Facebook zu posten. Der Platz ist dort zwar sehr beschränkt, gerade auf Instagram. Aber genau das macht den Reiz für mich aus. Die Storys müssen schnell auf den Punkt kommen. Inzwischen habe ich eine kleine Sammlung erschrieben, die ich hier gerne veröffentliche, damit sie noch mehr Leserinnen und Leser findet. Bist du bereit? Hier kommen die ersten sieben. Spoiler: Es wird blad noch mehr geben.

1. Haarsträubend!

Für diese Geschichte muss ich etwas in die Vergangenheit zurückgehen.

Ich war gerade sechs Jahre alt geworden und sollte eingeschult werden. Meine langen rotbraunen Haare gingen mir fast bis zum Po. „Oh, du hast aber schöne Haare.“ Diesen Satz hörte ich häufig. Er ließ mich innerlich wachsen. Das sollte sich schlagartig ändern.

Eine Woche bevor der „Ernst des Lebens“ begann, hatte meine Großmutter beschlossen, dass meine Haarpracht fallen müsse. „Ständig zogen die Schulhof-Jungs an meinen Zöpfen, das soll Dir nicht passieren.“, begründete sie ihre Überrumpelungsaktion. Und da saß ich nun, traurig und ängstlich auf dem Stuhl des örtlichen Coiffeurs.

Das Foto meiner Einschulung spricht Bände.

Diese „Entführung“ hat mich geprägt. Ein Kurzhaarschnitt war nie ein Thema für mich. Doch es kam anders. Drei Mal in zwei Jahren stand ich mit einer Glatze vor dem Spiegel. Die Chemotherapien forderten ihren Tribut. Als sich die ersten Stoppeln wieder zeigten, machte ich innerlich kleine Luftsprünge und den ersten Friseurbesuch mit schneidewürdigen Fusseln werde ich nie vergessen, so schön war der.,

Das ist nun drei Jahre her.

Als ich diese Woche einen neuen Friseursalon betrat – „Rapunzel“, meine Haarstylistin (!) war in Rente gegangen – hatte ich schon eine komische Vorahnung. Ich war die einzige Kundin. Acht Stühle und alle leer. Und dass, obwohl es Anfang des Monats war. Die beiden „Fachkräfte“ stritten sich dann auch gleich, wer denn meine Haare machen dürfe. „Es geht mir nur um die Spitzen.“, versuchte ich zu vermitteln.

Als ich dann endlich auf dem mir zugewiesenen Stuhl saß, ließ sich eine gefühlte Ewigkeit keine von beiden blicken. Das änderte sich mit einem polternden, unangenehm energiegeladenen Auftritt. Sich gegenseitig anzischend kamen sie aus der Kaffeeküche.

Ich weiß nicht, ob ich hier sein möchte, dachte ich bei mir.

Dann öffnete eine hagere ältere Dame die Salontür: „Haben Sie heute noch einen Termin frei?“ „Nein!“, riefen beide synchron genervt. Da waren sie sich einig. „Ich hasse meine Kunden.“, murmelte die „Chefin“ und die andere kommentierte beim Durchstrubbeln meiner Mähne: „Na, wer war denn hier zuletzt dran? Das ist ja völlig verschnitten!“


Jetzt reichte es mir. Ich zog den Umhang runter, schnappte mir meinen Mantel, verließ den Laden und stürmte die Straße hinunter. Ich fürchte, ich muss noch mal auf die Suche gehen. Der Laden hatte jedenfalls sehr schlecht abgeschnitten.

2. Eine Nacht in Berlin, die alles veränderte

Wir sitzen gut gelaunt und fröhlich in einer bunt gemischten Runde im Park auf einer großen Picknick-Decke (ja das ging da noch) und machen das, was wir alle am liebsten tun: lecker essen, reden und lachen. Da ruft Mark auf einmal im fließenden Griechisch einem vorbeijoggenden Freund zu. „Mark, woher kannst Du eigentlich so gut Griechisch? Oder bist Du Halbgrieche und wir wissen es nur nicht?“

Eine völlig harmlose Frage, die eine unglaubliche Geschichte zu Tage fördert. Anschnallen.

„Nö. Schuld ist ein Kopfschuss.“, sagt er trocken und grinst mich fett an. „Komm, das ist doch ein schlechter Witz.“ „Nein, ehrlich.“

Vor fast genau zwanzig Jahren hatte er es mit den „falschen Leuten“ zu tun, erzählt er. Straßenkrieg unter verfeindeten Lagern im Osten Berlins und er dazwischen, bis er plötzlich auf dem Boden liegt eine aufgesetzte Pistole an der Schläfe spürt. „Und dann machte es ‚Wumm‘!“ schildert er das Unfassbare, den Blick dabei in die Ferne gerichtet.

Mir steht der Mund offen.

„Meine Mutter sah noch auf dem Klinikflur, wie ich reanimiert wurde. Ich hatte einen riesigen Schutzengel.“ Die Kugel hatte alles verfehlt, was üble Folgen für ihn hätte haben können. „Mein Leben danach ist ein völlig anderes. Seitdem kann ich mir nur übers Zuhören sehr schnell Sprachen aneignen. Inzwischen beherrsche ich vier Sprachen fließend. Meine Einstellung zu anderen Kulturen habe ich ebenfalls komplett geändert.“

Weil ich das alles nicht glauben kann, zeigt er mir seine kreisrunde Narbe an der Schläfe und später einen Berg von Zeitungsartikeln, die über den versuchten Mordanschlag berichtet hatten.

Wie er mit seinen Ängsten danach umgeht, fällt ihm schwer zu formulieren. „Es wird besser, aber es vergeht kein Tag, an dem ich meine Mutter nicht anrufe, um ihr ein Lebenszeichen zu schicken und ihr zu sagen, dass ich sie liebe.“

3. Und irgendwann kommen sie nicht mehr … und niemand weiß, warum.

Berlin gehört zu den Städten mit den meisten Singlehaushalten. Dazu gehören nicht nur junge, sondern auch viele betagte Menschen. Genauso eine ältere Dame habe ich öfter bei unseren Stammitaliener beobachtet. Sie kam immer mit Hut, etwas wackelig, aber sehr stolz und elegant. Der Kellner wusste sofort, wo sie hinwollte, lief vor und wischte noch mal mechanisch-lässig über die Tischdecke, bevor er ihr den Stuhl zurechtstellte, auf dem sie dann Platz nahm, um die ihr gereichte Karte mit ihren Spitzenhandschuhen entgegenzunehmen.

Bei meinem letzten Besuch stellte ich fest, dass ich sie schon länger nicht mehr gesehen hatte und frage nach. „Ja stimmt, die war schon lange nicht mehr hier.“ Ein bedauerndes „Oh“ entschlüpft mir, der Chef ruft und der Kellner verschwindet kurz.

Was da wohl passiert war?

Auch als ich vor ein paar Wochen mit meiner Tochter im Theater war, saß neben uns eine sehr schöne Frau mit halblangen grauen Haaren. Rot war eindeutig ihre Lieblingsfarbe, alles war detailverliebt aufeinander abgestimmt. Ich dachte erst, na, da kommt doch noch jemand, der zu ihr gehört, aber nein.

Wir verließen unsere Plätze und ich verlor sie aus den Augen, bis ich sie draußen in ein Taxi einsteigen sah, den Blick noch mal zurückgeworfen, mich erblickend und winkend, bevor sie in der Droschke verschwand.
Ob wir uns wohl mal wiedersehen?

Irgendwie erinnerte mich das alles an eine Begegnung mit meiner rüstigen Großmutter auf dem Markt im Ruhrpott. Wir gehen auf den Fischstand zu und die Marktfrau begrüßt uns freudestrahlend: „Ach, Frau K. wie schön, Sie leben noch!“

4. Ungewöhnlicher Notarzteinsatz. Oder: „Darf ich euch Stühle bringen?“

Plötzlich kippte es. Die Bronchitis ließ mich nur noch trocken husten. Alles tat mir weh. Mich beschlich ein ungutes Gefühl. Der Corona-Test war mehrfach negativ. Das konnte es also nicht sein. „Bitte nicht schon wieder eine Lungenentzündung.“, meldete sich mein Unterbewusstsein.

Um 23:55 Uhr war es dann so weit, die Panik hatte mich komplett im Griff und ließ mich die 112 wählen. Komisch, dass das immer nachts sein muss. 15 Uhr oder so passt vermutlich nicht in mein Notfallverständnis.

Drei (!) Minuten später standen gleich zwei RTWs vor der Haustür und fünf weiß-rot-neongelb gewandete Helfer fluteten das Wohnzimmer. Einer kniete sich vor mir nieder, versuchte das EKG anzulegen, während mir die Ärztin Fragen stellte. Die anderen hielten sich im Hintergrund.

Immer einen Sani in der Nähe

„Das kenne ich doch hier, ich war ganz sicher schon einmal in dieser Wohnung.“, meldete sich der Sani im Flur. „Sie kommen mir ebenfalls bekannt vor.“, erwiderte mein Mann. „Ich lebe ja auch in diesem Kiez, zwei Straßen weiter. Ach, und das ist die Trainerin meines Sohnes.“ Was sagt man dazu? Immer ein Sani in der Nähe, wie gut.

Meine Tochter hatte gar nichts mitbekommen von der nächtlichen Invasion und wollte eigentlich nur kurz ins Bad. Sie hat einen extrem tiefen Schlaf und schon Feueralarme im Hotel erfolgreich ignoriert. Zeitgleich kam unser Sohn aus seinem Zimmer und wurde ebenfalls erkannt.

Ein fröhliches Hallo unter (Feld)Hockeyfreunden breitete sich aus.

„Darf ich euch Stühle bringen?“, frotzelte ich lachend. Doch dann übernahm die Ärztin das Kommando und ich wurde im Tragestuhl die Treppen runtergetragen. Die Türen des Rettungswagens schlossen sich und die kleine Gruppe blieb sich noch angeregt unterhaltend auf der Straße zurück.

Berlin ist ein Dorf

Morgens dann gleich eine besorgt nachfragende Nachricht meiner sehr lieben Nachbarin: „Was war denn bei euch los, gestern Nacht? Geht es Dir gut? Wir standen alle besorgt am Fenster und haben erschrocken gesehen, wie Du aus dem Haus getragen wurdest.“

Ich sag es ja immer, Berlin ist ein Dorf und bei Weitem nicht so anonym, wie alle immer behaupten. Und: Ja, es geht mir wieder gut. Die Lungenentzündung wurde bestätigt und erfolgreich behandelt.

5. Busfahrerin in Not

„Die Dame da hinten, bitte mal den Hund anleinen.“, ruft die Busfahrerin durch den vollen Bus. Dass die sogenannte Dame auch keinen Mundschutz trägt, wird weggeatmet. Sinnlos in Berlin darauf hinzuweisen. Daran arbeitet sich niemand mehr ab.

Frauchen und Hund sind auf der Buslinie bereits als unangenehmes Doppel bekannt. „Der ist aber ganz lieb.“, kommt die reflexartige und wenig überraschende Aussage. Zum Beweis schnappt der „Liebe“ sofort nach dem Hosenbein eines Fahrgastes, der erschrocken hochspringt. „Entweder Sie leinen Ihren Hund jetzt an oder Sie verlassen den Bus. Sonst fahre ich nicht weiter.“

„Ich hole jetzt die Polizei.“

Die Frau bleibt stur und rührt sich nicht. Die anderen Fahrgäste steigen alle aus. Schließlich sind nur noch wir drei übrig plus Fiffi. „Ich hole jetzt die Polizei.“

Und mir raunt sie ziemlich flehend zu: „Können Sie bitte hierbleiben, als Zeugin?“ „Mach ich.“ , flüstere ich.
Die Polizei kommt dann auch und bittet die Frau nebst Hund höflich, aber eindeutig den Bus umgehend zu verlassen. Die erleichterte aber immer noch aufgewühlte Busfahrerin nickt mir dankbar zu. Dieser „Gleich-ist-alles-wieder-gut“ Blick.

„Falls Sie Probleme bekommen sollten, bin ich gerne bereit den Fall zu schildern.“ Zitternd nimmt Sie meine Visitenkarte an. „Wissen Sie, die Fahrgäste haben alle keinen Respekt mehr. Seit Corona ist es noch schlimmer geworden. Es hat mir einfach gereicht.“

Einige Tage später finde ich im Briefkasten eine Blümchen-Postkarte. „Vielen Dank, dass Sie mich unterstützt haben. Ihre Busfahrerin.“

Ich sage Danke für diese liebe Überraschungspost

6. „Himmel die Berge“ und kein Empfang

Und dann sind wir da oben in den Schweizer Bergen, alles ist schön. Die Aussicht unvergleichlich. Das Grün, die Weite. Vor dem Fenster weiden Kühe.

Der Raum riecht nach Holz, die Dielen knarzen, auf den Kopfkissen liegen süße Grüße der Vermieter, die Decken und Kissen sind so fluffig aufgeschlagen, dass es ein Genuss ist, sich hineinfallen zu lassen. Überall die typischen Herzchenschnitzereien. Wie im Bilderbuch.

Doch irgendetwas stimmt nicht. Ein Gefühl der Irritation liegt auf der ganzen Szene. Was ist es nur?
Ich bin überfordert und höre für einen Moment in mich hinein.

Es ist die Ruhe, die ungewohnte Ruhe, die so laut wird, dass sie mich schmerzt. Für ein Großstadtkind wie mich ein verwirrender Zustand, den ich nicht gut aushalte, wie ich feststelle. Außerdem diese Finsternis in der Nacht. Nur die Sterne am Himmel so klar, wie ich sie noch nie gesehen habe. Doch einmal. Damals, mit meinem Freund im Bayerischen Wald, da rieselten die Sternschnuppen nur so vom Himmel. Wildromantisch war das, nur leider mit dem falschen Mann an meiner Seite.

Der Supergau!

Diesmal stimmt der Mann. Aber das andere? Nun, ich werde mich schon eingrooven. Es sind ja nur vier Tage.
„Sag mal, hast Du Empfang?“ „Wie? Warte ich schau mal, Liebling.“ Ich nestle in meiner Jackentasche und taste nach dem Handy. Kein Balken. Nichts. Der Supergau!

Komisch, dass mich das so durcheinanderbringt. Ich bin eigentlich darin trainiert, für mich zu sein. Erstaunlich, ich bin doch zu sehr von der Außenwelt vereinnahmt, der Taktgeber ist mein Mobiltelefon und mein Terminkalender, Netflix begleitet mich auf Schritt und Tritt. Langeweile kenne ich nicht mehr. die hat gar keine Chance.

Das hier wird mir sicher guttun. Einfach mal bei mir, bei uns sein, Ohne Ablenkung. Wie im Kloster, nur zu zweit und schöner. Der Kühlschrank ist voll.

So ähnlich schilderte mir eine Bekannte vor drei Tagen ihr kleines Urlaubserlebnis. Wäre ich anders gewesen, überlege ich. Ich fürchte nein. Ich glaube, ich buche das auch mal. Nur so, für einen Selbsttest: Ob ich das kann?

7. „Ich glaub, ich bin im falschen Film!“

Wie gestalte ich die heutige Einkaufs-Choreo, denke ich und hypnotisiere meine Erledigungsliste. Gedankenverloren steige ich in meinen Bus, ergattere einen Platz und rücke meinen Sommerhut zurecht.

„So sieht eben eine echte Deutsche aus. Groß und blond.“, kreischt eine schrille Frauenstimme übertrieben laut aus dem hinteren Teil des Gefährts. Es durchzuckt mich leicht und ich widerstehe dem Impuls mich umzudrehen. „Noch in diesem Monat wird die Welt untergehen und dich mitreißen, ´Ma da mm´. Dann wird Dich Dein Hütchen auch nicht retten.“

Jede Unterhaltung ist verstummt und die nächste Haltestelle erscheint mir unverhofft attraktiv. Keine Sekunde länger bleibe ich in dieser Atmosphäre. „Wie kann man nur so viel Mist in so kurzer Zeit reden.“, perlen mir die Wörter aus dem Mund.

Leider etwas zu laut, denn die Frau von hinten schlurft mit ihren riesigen Tüten heran und drängelt sich an mir vorbei. Beim Aussteigen ruft sie mir hasserfüllt zu: „Aussteigen oder einsteigen, Du musst Dich schon entscheiden du F_ _ _ e.“ In Berlin darfst du nicht zimperlich sein, Schätzchen denke ich und ärgere mich gleichzeitig über meine Unüberlegtheit.

Das hätte ungut enden können. Blöd von mir.

Trotzdem, wir sind sie los. Die Türen schließen sich wieder und alle Passagiere sind mindestens so erleichtert wie ich. Als Beweis verdreht der Mann schräg gegenüber bedeutungsvoll zustimmend die Augen und zwinkert mir zu.

Bei der Post angekommen, scannt mich eine andere Frau von oben bis unten. Himmel hilf, wieder so eine Irre.

„Das steht Ihnen aber sehr gut und Ihr Hut dazu.“ Was war denn nun los? War das so eine Art kosmischer Ausgleich für eben? „Sie sehen aus, wie aus einem Roman.“ „Der Nächste.“ (Bitte sagt in Berlin niemand.) Ich nicke der Frau lächelnd zu und gehe zum Schalter. Dort angekommen, klingelt mein Handy. „Das ist aber ein schöner Klingelton.“ Hier ist doch eindeutig ein Filmteam im Hintergrund am Werk. Das ist doch nicht real. Der Postbeamte überreicht mir mein Paket
Verstört gehe ich auf die Tür des Postamtes zu. „Nach Ihnen.“, kommt es von rechts.

Jetzt ist aber gut. Was ist denn hier los?
Gut, der Start meiner Erledigungstour heute war nicht optimal, aber das hier ist auch nicht ganz echt.
Kann Berlin nicht einfach liefern was es soll: Unfreundlich, abgedreht und rüde? Das hier geht gar nicht. Echt jetzt mal.

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Gabriele Kuhfuß

    Bei jeder Geschichte, so anschaulich, so witzig und herrlich formuliert, macht Lust auf mehr…….

    1. admin

      Bald kommt mehr, versprochen und vielen herzlichen Dank für Deinen Kommentar, liebe Gabriele.

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